Predigt Stefansdom Wien anlässlich des Tirolerballs 2020
Beschreibung
Predigt Getauft oder lieber ein barmherziger Heide?
Fest der Taufe Jesu, 12. Jänner 2020; Stefansdom Wien im Rahmen des Tiroler Balls 2020; Evangelium: Matthäus 3,13-17
„Ich bin lieber ein barmherziger Heide!“ In Deutschland wurden vor Jahren auf eine Kirchenwand heimlich diese Worte gesprayt: „Ich bin lieber ein barmherziger Heide!“ Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn eines Morgens diese Worte auf der Pfarrkirche St. Andrä in Lienz zu lesen wäre oder wie die Verantwortlichen hier im Stefansdom handeln würden. Würde ich sie sofort übermalen lassen? Oder sollte das Graffiti absichtlich bleiben und zum Nachdenken anregen, wie der unvollständige Satz weitergeht:
„als ihr frommen Kirchenbesucher?“
„als ein scheinheiliger Christ?“ oder
„als ihr, die ihr meint, etwas Besseres zu sein?“
Ich bin froh und dankbar, dass ich getauft wurde und damit hineingetaucht werde in die Lebensgeschichte Jesu. Ich sehe darin ein großes Geschenk und einen Auftrag.
Der Bericht von der Taufe Jesu, den wir heute am Fest der Taufe des Herrn hören, unterstreicht dieses Geschenk und das Lebensprogramm der Taufe. Ich möchte drei Elemente herausgreifen:
Wert, Würde und Sicherheit
Es geht oft sehr schnell, dass wir Menschen an uns zweifeln und das Selbstbewusstsein verlieren. Manche definieren sich nur über ihren Erfolg oder den Besitz. Wenn etwas nicht klappt, dann fällt ihr Selbstbewusstsein wie ein Kartenhaus zusammen.
Bei der Taufe Jesu spricht eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn.“ Auch bei unserer Taufe erhielten wir die ausdrückliche Zusage Gottes: „Du bist mein geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter!“
Das dürfen und sollen wir uns hinter die Ohren und ins Herz schreiben. Wir haben einen unendlichen Wert und das bereits vor jeder eigenen Leistung. Taufe will die Sicherheit schenken, dass sich nicht immer alles um uns drehen muss. Wie Johannes dürfen wir andere nicht nur leben lassen, sondern sogar fördern.
Wirken des Hl. Geistes
„Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“
Liebe Getaufte? Ist euch das schon einmal bewusst geworden? Ihr seid mit dem Heiligen Geist und mit Feuer getauft! Spürt ihr das?
Wer mit dem Heiligen Geist und mit Feuer getauft ist, kann ein Geist erfüllter und feuriger Mensch werden und muss nicht geistlos und verbittert werden. Wo die Begeisterung fehlt, habe wir die Taufe vergessen.
Solidarität
Die Bibel betont bei der Taufe Jesu ganz ausdrücklich: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen.“ Jesus reiht sich in die Menschenreihe ein und zeigt damit, dass Taufe nicht elitäre Besserwisserei oder Weltflucht, sondern tiefste Solidarität mit den Menschen ist. Jesu Grundhaltung der Solidarität und des Gebetes wird wie ein Siegel auf uns übertragen und soll zu einem Kennzeichen für uns Christinnen und Christen werden.
In seinem Buch „Wie man Fanatiker kuriert“ schreibt der israelische Schriftsteller Amos Oz: „Wenn jemand irgendwo eine Katastrophe sieht, zum Beispiel einen Großbrand, dann hat er immer drei Optionen:
- so weit und so schnell wie möglich weglaufen
- einen Leserbrief schreiben und fordern, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden
- einen Eimer Wasser holen und ihn ins Feuer schütten, und wenn man keinen Eimer hat, dann ein Glas, und wenn man kein Glas hat, dann einen Teelöffel. Es ist mir klar, dass ein Teelöffel klein ist und das Feuer groß, aber wir sind Millionen Menschen, und jeder hat einen Teelöffel. Ich möchte gerne den Teelöffel Orden einführen.“
Dieser Gedanke von Amos Oz ist originell und trifft vieles. Schauen wir einmal im Blick auf die drei Möglichkeiten, was Jesus bei seiner Taufe tut?
- Läuft er von den sündigen Menschen weg, weil er mit ihnen nichts zu tun haben will?
- Schreibt er einen Leserbrief und fordert, dass die Verantwortlichen in der Politik – die Römer – und in der jüdischen Gesellschaft – der König, die Tempelpriester, die Sadduzäer und Pharisäer zur Rechenschaft gezogen werden und bestraft werden
- Nein, all das tut Jesus bei seiner Taufe nicht: Jesus kommt zu den Menschen und reiht sich ganz bewusst bei ihnen ein.
Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott fordert) ganz erfüllen. Da gab Johannes nach.
Im Laufe des Evangeliums werden wir erfahren, dass Jesus für uns Menschen sogar ins Feuer des Todes geht.
Im Blick auf die Taufe ist es beruhigend:
Wir müssen nicht die Welt erlösen, das hat Gott schon getan. Wir müssen uns nicht selbst erlösen, das hat Gott schon getan. Das gibt Selbstbewusstsein und Gelasenheit im Auf und Ab des Lebens.
Wir sollen in unseren Bereich unseren Auftrag erfüllen. Der Heilige Geist ist uns als Hilfe zugesagt.
Wie wäre ein Graffiti an unseren Kirchen mit den Worten: „Lieber ein barmherziger Christ“ Oder diese Worte einfach eingeschrieben in unsere Herzen und unser Handeln.
Details
- Datum: 12. Januar 2020
- Prediger: Franz Troyer
- Bibelstelle: Matthäus 3,13-17