Beschreibung

Predigt Gegenwind im Glauben und der Apostel Thomas

Evangelium Johannes 20,19-31

 

Wir alle kennen das Phänomen des Gegenwindes.  Wo es beim Radfahren leicht abwärts geht und man bei Rückenwind ohne viel Aufwand sehr schnell mit dem Rad fahren könnte, muss man sich plötzlich abstrampeln, um überhaupt weiterzukommen.

Sogar beim Autofahren oder zu Fuß am Berg macht uns der Gegenwind zu schaffen.

 

Mir kommt vor, dass der gelebte und praktizierte Glaube und das gelebte Ja zur Kirche auch Wellen des Gegenwindes erfahren kann und in der derzeitigen Situation nicht gerade von den Wogen der Anerkennung durch die Gesellschaft, die Medien und Nachbarschaft getragen werden.

Anhand des Osterevangeliums mit der Begegnung zwischen Jesus und dem Apostel Thomas möchte ich einige solche Brisen des Gegenwindes im Glauben andeuten. Ich möchte jede Welle des Gegenwindes verbinden mit ihren positiven Seiten, um auf das Vorbildliche bei Thomas zu sehen. Surfer nützen sogar den Gegenwind, auch im Glauben ist er nicht nur schlecht.

 

Eine 1. Welle des Gegenwindes für unseren Glauben heißt: Ich muss alles sehen und beweisen, sonst glaube ich es nicht

 

Dieser Gegenwind war - soweit ich es überblicke- vor 30 Jahren stärker in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Wissenschaft und den wissenschaftlichen Fortschritt viel größer war. Damals glaubten einige, bald alle Fragen und Probleme der Welt zu lösen. Hier sind wir heute viel nüchterner geworden, auch durch die Coronakrise.

Wer im Glauben alles sehen will, beschränkt unsere Welt auf das wenige Sichtbare und verdrängt das Unsichtbare, das wohl wie der Eisberg viel größer ist als die sichtbare Eisbergspitze.

Wer im Glauben alles messen will, sieht die wunderbaren Auferstehungs- berichte der Bibel höchstens als süße Träumerei. Denn dort ist Sehen nie der springende Punkt: Die Jünger erkennen den Auferstandenen erst, nachdem ein persönlicher Kontakt hergestellt ist. Maria Magdalena erkennt Jesus, nachdem er sie mit Namen „Maria“ anredet, die Emmausjünger erkennen ihn nach der langen Wanderung erst beim Brotbrechen.

 

Und gleichzeitig brauchen wir diese Windwelle, die nüchtern sehen und messen will. Sonst wäre Thomas heute im Evangelium nie zum großen Glaubensbekenntnis vorgedrungen: „Mein Herr und mein Gott!“ Ohne Nüchternheit ist der Glaube in Gefahr, gerade das Unmöglichste und die neueste Erscheinung für das Wichtigste im Glauben zu halten und das Zentrum von Jesus zu vergessen.

 

Ohne diese Nüchternheit können wir einer 2. Welle des Gegenwindes unterliegen, die heißt: Beim Beten muss ich mich immer glücklich fühlen, sozusagen in einem High-Gefühl

Das heißt dann: Wenn ich bete und nicht sofort gestärkt oder glücklich werde, ist mein Beten schwach und mein Glaube sowieso.

Diese Welle bringt die Gefahr in sich, dass ich den Glauben zu einem Automaten für Glücksgefühle reduziere und Glaube und Alltag trenne. Im Glauben suche ich sozusagen die Flucht vor dem Alltag und nicht den Boden für den Alltag.

Wer auf dieser Welle ist, vergisst, dass es ausgerechnet Jesus nicht immer gut gegangen ist, dass er nicht immer Erfolg hatte, dass er sogar sterben musste.

Wenn gutes Beten der Maßstab für Glück und Anerkennung sind, dann war Jesus am Kreuz ein schlechter Beter.

 

Und gleichzeitig brauchen wir diese Welle des Berührtseins. Sonst wird der Glaube nicht erfahren und greifbar oder hat nichts mit dem Herz und Gefühl zu tun,

Sonst hilft uns der Glaube nie, dem Nebel des Alltags zu entkommen.

 

Noch eine 3. Gegenwindwelle im Glauben, den Bischof Reinhold Stecher gerne mit der Großkaufhausmentalität verglich. Ich suche mir von allem das aus, was mir gerade gefällt

Ich nehme hier eine Dose Meditation, dort eine Packung soziales Engagement, dort den Seelentröster im scheinbaren Aktionspreis, dort dieses, da jenes.

Mit dieser Mentalität hätte der Apostel Thomas sagen müssen: Ich möchte dem Auferstandenen begegnen, aber mit den Wunden an seinem Leib will ich nichts zu tun haben

Mit dieser Einstellung sagen manche: Ich suche den Auferstandenen, aber ich möchte eine Privataudienz bei ihm, die anderen Menschen stören da.

Wer so handelt, lässt sich nicht gerne herausfordern oder anfragen. Er gleicht jemanden, der Spitzensportler werden möchte, aber sich von allem nur das Feinste aussucht und kaum trainiert.

Und auch diese Gegenwindwelle hat ihre Wahrheiten. Jeder Mensch ist verschieden, wir sind nicht Stangenprodukte einer Fabrik, die alle dasselbe brauchen und tun.

 

So hoffe ich, dass es uns gelingt, am Gegenwind nicht zu verzweifeln, sondern ihn sogar fürs Weiterkommen zu nützen. Denn es gibt ihn wirklich, diesen Gegenwind:

der alles sehen und messen will,

der im Glauben die höchsten Glücksgefühle als einziges Kriterium für Glaubensstärke sieht

und die Kaufhausmentalität, die das feinste und einfachste aussucht.

 

 

Details
  • Datum: 11. April 2021
  • Prediger:
  • Bibelstelle: Johannes 20,19-31