Predigt Gerecht oder ungerecht? Die Arbeiter im Weinberg
Beschreibung
Predigt: Gerecht oder ungerecht? Die Arbeiter im Weinberg
Evangelium: Mt 20,1-16; So 20. September 2020
In einer Innsbrucker Volksschule, in der ich unterrichtet habe, hing vor Jahren bei der Eingangstür ein Plakat mit den Worten: Wir sind alle unterschiedlich, aber in dieser Schule halten wir zusammen. Mir hat dieses Plakat beim Vorbeigehen immer gefallen.
Das Motto ist sicher auch auf andere Lebensbereiche übertragbar: in dieser Familie sind alle unterschiedlich, in dieser Pfarre sind alle unterschiedlich, in dieser Stadt, in diesem Land, in dieser Welt sind alle unterschiedlich, …
Spannend ist natürlich der zweite Teil des Satzes: „aber wir halten zusammen“
Die Konsequenz könnte ganz anders lauten, z.B.: Wir sind alle unterschiedlich,
- gerade deswegen müssen wir uns immer wehren
- gerade deswegen ist die Welt ungerecht
- gerade deswegen muss ich der Beste und Stärkste sein
- gerade deswegen setze ich mich für andere ein
Schauen wir jetzt, wie die Arbeiter der verschiedenen Stunden und auch der Weinbergsbesitzer den Satz weiterführen würden
Beginnen wir bei den Arbeitern der dritten, sechsten und neunten Stunde
Von diesen werden in der Bibel keine gesprochenen Worte überliefert.
Sie brauchen keine langen Verträge, auch keine Motivation- und Lobeinheiten.
Sie gehören zu den vielen Menschen, die einfach da sind, die das Ihrige leisten und nicht lange problematisieren.
Bei ihnen heißt der Satz wohl: Wir sind alle unterschiedlich, das ist einfach so.
Vermutlich zählen sich viele von uns zu dieser unkomplizierten Gruppe. Oder?
Ich komme zu den Arbeitern der letzten Stunde
Auf die Worte des Weinbergbesitzers „Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?“, antworteten diese: „Niemand hat uns angeworben!“
Solche Worte zeigen viel von der Situation mancher Menschen: „Niemand braucht uns! Niemand sucht unsere Arbeit oder unseren Rat!“
Die Situation kann noch schärfer sein, wenn ich an manche Sätze denke, die ich leider auch ab und zu höre: „Es würde niemanden auffallen, wenn ich weg bin. Ich gehe niemanden ab.“
Solche Sätze decken sich nicht mit so manchen Gasthaussprüchen, bei denen es heißt: „Alle Arbeitslosen sind faul! Wer will, findet sofort eine Arbeit. Diese Tachinierer, die nur auf Kosten des Staates leben.“
So einfach ist die Lebenssituation mancher Menschen leider nicht. Ich denke mir immer wieder: Leider haben nicht alle Menschen die gleichen Chancen.
Für die Arbeiter der letzten Stunde heißt der Satz wohl: Wir sind alle unterschiedlich, leider gehöre ich zu denen, die im Leben oft zu spät dran sind.
Und die Arbeiter der ersten Stunde
Diese sind fähig, klare Abmachungen zu treffen. Es heißt im Gleichnis: Der Weinbergbesitzer einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag. Das ist der übliche Tageslohn. Das entspricht dem Kollektivvertrag.
Spannend ist für mich die Frage: Wären diese Arbeiter der ersten Stunde glücklich für ihren ausgemachten Lohn geblieben, wenn sie nicht erfahren hätte, wie viel die Letzten bekommen haben? Wären sie dann am Abend dankbar nach Hause gegangen?
Stattdessen äußern sie jene Sätze, die auch verständlich sind und trotzdem das Miteinander der Menschen schwer machen: „Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen.“
Mit unserer verdammten Last und Lust am Vergleichen vergessen wir, dass es nicht angenehm ist, den ganzen Tag über arbeitslos zu sein und nicht zu wissen, ob es heute noch eine Chance und damit etwas zum Essen für die Familie gibt.
Wie heißt wohl der Satz für die Arbeiter der ersten Stunde? Wir sind alle unterschiedlich, deshalb habe ich mehr verdient.
Und zuletzt der Weinbergbesitzer
Mit diesem ist im Gleichnis wohl Gott selbst gemeint. Es ist so ungewöhnlich, dass dieser Gutsherr kurz vor Arbeitsschluss um die elfte Stunde nochmals Arbeiter sucht. Das bringt ja mehr Aufwand als Erfolg!
Die Lohnauszahlung des Gutsherrn stellt die nächste Überraschung dar. Sie ist keine Tageslaune, sondern klar begründet: „Freund, dir geschieht kein Unrecht. Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“
Zusammenfassend würde ich sagen: Die Botschaft des Gleichnisses ist herausfordernd und beruhigend zugleich:
- Gott ist immer großzügiger. Es schadet nicht daran zu denken, dass Gott auch uns gegenüber unendlich großzügig ist. Gott ist einer, der uns Menschen sucht bis in die letzten Stunden unseres Lebens hinein. Zum Glück dürfen wir Christen an so einen Gott glauben.
- Die eigene Leistung und auch die Chance, Arbeit zu haben, soll motivieren, dankbar zu sein für alles, was wir so selbstverständlich haben und bekommen –auch unsere Leistung und die vielen Chancen.
- Zum Glück gibt es Gott und als verlängerter Arm Gottes viele Menschen, die dafür sorgen, dass der Ausgleich zwischen Arm und Reich gelingt und der Spalt nicht immer größer wird.
Ziel ist immer, dass die Arbeiter der letzten Stunde schon früher eine Arbeit bekommen und diese auch erfüllen.
Gebet
Gott, von deiner Liebe leben wir alle,
und doch teilen wir die Menschen ein
in solche, die viel, und solche, die wenig leisten,
in solche, die mehr, und solche, die weniger taugen.
Durchkreuze unsere Einteilungen
und lass uns danach fragen,
wer Zuwendung und Güte braucht.
Von deiner Liebe leben wir, Gott.
Wir berechnen, was wir verdient haben
an Zuwendung und Wohlergehen,
was uns geschuldet wird an Anerkennung und Verständnis,
wie oft wir zu kurz kommen im Vergleich zu anderen.
Mach einen Strich durch unsere Rechnungen
und lass uns erkennen:
Von deiner Liebe leben wir, Gott.
Unsere Rangordnungen überwinde,
damit unser Herz sich auch für den Letzten öffne.
Und wenn wir von der Höhe unserer Selbstüberschätzung herabstürzen,
fange uns auf mit deiner Güte.
Dann sind wir erlöst,
weil wir nicht mehr beweisen müssen,
wie stark und bedeutend wir sind.
Wir sind erlöst,
weil wir Frieden machen können mit unserer Schwachheit.
Denn deine Barmherzigkeit schenkt uns Flügel,
und von deiner Liebe leben wir, Gott.
Bernhard Scholz
Details
- Datum: 20. September 2020
- Prediger: Franz Troyer
- Bibelstelle: Mt 20,1-16