Fastentuch von Michael Hedwig in der Pfarrkirche Lienz St. Andrä
Fastentuch von Michael Hedwig in der Pfarrkirche Lienz St. Andrä
Das Fastentuch ist 11×7 m groß. Es ist von unten nach oben in vier Ebenen zergliedert. Ganz unten sehen wir, wie Knochen und sogar Totenschädel herumliegen und aus Löchern menschliche Skelette herauskommen. Die zentrale Farbe ist braun, die Farbe der Erde. Je höher der Blick am Bild geht, umso mehr haben die Menschen Fleisch und Haut. Ganz oben am Bild sehen wir den verklärten Jesus Christus in der blauen Himmelfarbe.
Das Fastentuch greift als biblische Texte die Vision des Propheten Ezechiel (Ezechiel 37,1-14) und den Bericht von der Verklärung Jesu (Lk 9,28-36) auf.
Pointe 1: Vertrocknete Knochen
Der Prophet Ezechiel wird in einer göttlichen Vision in eine weite Ebene gebracht, in der viele Gebeine herumliegen. Der Bibeltext gibt auch die Deutung, wer mit den vertrockneten Knochen gemeint ist. Diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, sie sagen: Ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind abgeschnitten. (V 11) Die Gebeine symbolisieren jene Menschen damals und heute, die resigniert haben. So denkende Menschen sind auf ihre Weise jetzt schon tot.
Gottes Frage an den Propheten Ezechiel spricht diese Aussichtslosigkeit ganz direkt an: Menschensohn, können diese Gebeine wieder lebendig werden? Und der Prophet antwortet: GOTT und Herr, du weißt es. Seine Antwort lässt hoffen, dass bei Gott Dinge möglich sind, die wir Menschen uns nicht vorstellen können. Am Fastentuch von Michael Hedwig sehen wir ganz unten die vertrockneten Gebeine.
Gibt es hier noch eine Chance? GOTT und Herr, du weißt es.
Pointe 2: Zweifache Bitte um den Geist Gottes
Zunächst wird Ezechiel beauftragt, die hoffnungsvolle Botschaft zu verkünden: So spricht GOTT, der Herr, zu diesen Gebeinen: Siehe, ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich gebe euch Sehnen, umgebe euch mit Fleisch und überziehe euch mit Haut; ich gebe Geist in euch, sodass ihr lebendig werdet. (V 4-6) Nicht nur etwas an der Oberfläche soll lebendig werden, sondern der ganze Mensch mit Sehnen, Fleisch und Haut. Wunderbar, wie diese Bewegung im Bibeltext beschrieben wird: Und noch während ich prophetisch redete, war da ein Geräusch: Und siehe, ein Beben: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. (V 7)
Trotz dieser schnellen Bewegung heißt es zunächst im Bibeltext: Aber es war kein Geist in ihnen. (V 8) Die Ankündigung Gottes, dass er Geist in uns bringt, bewirkt nicht sofort, dass volles Leben wieder da ist. Da gibt es zu viele Widerstände und schlechte Gewohnheiten. Es geht nicht so schnell und nebenbei, wieder Leben zu atmen. Da braucht es oft einen langen Atem, bei Gott und uns Menschen.
Gott hat diesen langen Atem: Er befiehlt nun dem Propheten, dem Geist folgende Anweisung zu geben: Geist, komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden! (V 9) Das Anhauchen erinnert an das Einhauchen des Lebensatems am Beginn der Schöpfung: Da formte Gott, der Herr, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Genesis 2,7) Wir sehen: Gott tritt nochmals als Schöpfer des Universums an. Gott hat sich von der Welt nicht zurückgezogen.
Pointe 3: Du musst mit allem rechnen, auch mit dem Guten
Das Volk Israel zur Zeit des Propheten Ezechiel rechnet nicht damit, dass Gott aussichtslose Situationen wandeln kann. Gott korrigiert ihr zu kurzes Denken.
Das Fastentuch zeigt diese göttliche Dynamik zum Guten zunächst in der Bewegung von unten nach oben bis zur Verklärung Jesu. Seine Verklärung ist nicht nur ein schönes Ereignis in einem fernen Himmel, sondern mit den anderen Ebenen verbunden. Mehr noch. Der verklärte Jesus zieht sozusagen die vertrockneten Gebeine von unten nach oben, er richtet sie auf, er gibt ihnen Kraft. Am Fastentuch sehen wir weiters einige Personen bereits mit einem Herzen. Sie sind sogar mitten in so mancher Leblosigkeit bereits Menschen mit Herz. Die Zusage Gottes, die Ezechiel an anderer Stelle ausspricht, wirkt an ihnen bereits. Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch (Ezechiel 36,26)
Dekan Franz Troyer