Beschreibung

Predigt Silvester 2019 - Das Jahr gut sein lassen

 

Vor langer Zeit gab es eine schöne kleine Insel. Hier lebten alle Gefühle, Eigenschaften und Qualitäten der Menschen gut und friedlich zusammen: Der Humor und die gute Laune, der Stolz und der Reichtum, die Traurigkeit und die Einsamkeit, das Glück, die Intuition, das Wissen, einfach alles, was uns Menschen ausmacht. Natürlich war auch die Liebe dort zu Hause.

Eines Tages machte ganz überraschend die Nachricht die Runde, dass die Insel in kurzer Zeit im Ozean versinken würde. Also machten alle ihre Schiffe startbereit, um die Insel zu verlassen. Nur die Liebe, deren Schiff gerade nicht seetauglich war, wollte bis zum letzten Augenblick warten. Sie hing sehr an der Insel. Als diese schon am Sinken war, bat die Liebe die anderen um Hilfe.

 

Der Reichtum schickte sich gerade an, auf einem sehr luxuriösen Schiff in See zu stechen, da fragte ihn die Liebe: „Reichtum, kannst du mich mitnehmen?“
„Nein, das geht nicht. Auf meinem Schiff habe ich sehr viel Gold, Silber und Edelsteine. Da ist kein Platz mehr für dich.“

 

Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem großen und schön gestalteten Schiff vorbeikam. „Stolz, bitte, kannst du mich mitnehmen?“ „Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen“, antwortete der Stolz, „hier ist alles perfekt und du könntest mein schönes Schiff beschädigen.“

 

Als nächstes fragte die Liebe die Traurigkeit: „Traurigkeit, bitte nimm du mich mit.“ „Oh Liebe“, entgegnete die Traurigkeit, „ich bin so traurig, dass ich allein bleiben muss.“

 

Als die gute Laune losfuhr, war sie so zufrieden und ausgelassen, dass sie nicht einmal hörte, dass die Liebe sie rief.

 

Plötzlich aber rief eine Stimme: „Komm Liebe, du kannst mit mir mitfahren.“

Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie völlig vergaß, ihren Retter nach seinem Namen zu fragen. „Das war die Zeit“, flüsterte das Wissen der Liebe zu. „Die Zeit?“ fragte die Liebe erstaunt, „Warum hat mir denn ausgerechnet die Zeit geholfen?“ Und das Wissen antwortete: „Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist.“   

Gekürzt und leicht verändert: „Die Insel der Gefühle“; Verfasser: Le-Pôéte-Mos (Michael-Otto Stoll)?

 

Heilt die Zeit alle Wunden?

Haben sie die Zeit als Retter in der Not erwartet? Ehrlich gesagt, ich nicht.

Und ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob die Zeit wirklich automatisch so hilfsbereit und heilsam ist.

Klar, die Zeit sieht die großen Zusammenhänge.

Man sagt manchmal auch: Die Zeit heilt alle Wunden.

Ich möchte dafür aber den Nachsatz hinzufügen: wenn die Vorzeichen stimmen. Wenn die Vorzeichen nicht stimmen, verhärtet die Zeit oft alles und führt noch mehr in eine Sackgasse hinein.

  • Zeit kombiniert mit Stolz erzählt noch nach 50 Jahren, was jemand vor 60 Jahren falsch gemacht hat.
  • Zeit kombiniert mit Traurigkeit wird zur Fessel.
  • Zeit kombiniert mit Reichtum wird zum Zwang, immer mehr zu haben.

Ich hatte in diesem Jahr ein Gespräch mit einer Frau, die sich aus verschiedenen Gründen oft sehr belastet fühlt. Ein Grund ist der, dass ihre Mutter ständig gesagt hat: „Es wird nie mehr gut!“ Das ist kein gutes Vorzeichen. Der schlimme Satz „Es wird nie mehr gut!“ - ausgesprochen vor 50 Jahren- hat sich tief in die Kinderseele eingeprägt und geht nicht mehr heraus.

 

Vorzeichen: Vertrauen in Gott und die Menschen

Was sind dann Vorzeichen, die uns helfen, das Vergangene gut abzuschließen, in der Gegenwart zu leben und vertrauensvoll in die Zukunft zu gehen.

Wer und was hat ihnen im zu Ende gehenden Jahr 2019, besonders in Krisensituationen geholfen:

  • Ist es die Hoffnung
  • Ist es der Glaube
  • Ist es der Zufall

Ein wichtiges Vorzeichen ist sicherlich das Vertrauen in Gott und in die Menschen: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

 

Vorzeichen: Etwas gut sein lassen

Ein wichtiges Vorzeichen ist sicher die Bescheidenheit, das Bruchstückhafte im eigenen Leben zu akzeptieren. Wir müssen nicht alles können, wir müssen nicht fehlerlos sein. Ich bete sehr gerne am Ende des Hochgebets: „Vollende du Gott, was in diesem Leben unvollendet bleibt.“ Unser Leben wird immer unvollendet bleiben. Das ist kein Problem für Gott.

Ein gutes Abendgebet kann helfen, den Tag gut abzuschließen.

Diese Grundhaltung, das Bruchstückhafte im Leben zu akzeptieren, hilft, ein Jahr gut abzuschließen und nicht allzu viele Altlasten mitzunehmen:

 

Den Tag und das Jahr 2019 von den Schultern nehmen

Stillstand und Ruhe als Gast an den Tisch legen

es gut sein lassen

auch die Frage nach Leistung aus der Hand geben

dem Vertrauen Platz machen

dass Ungelöstes gut aufgehoben ist in Gottes Hand.

Maike Lauter-Pohl 

Details
  • Datum: 31. Dezember 2019
  • Prediger:
  • Bibelstelle: Lukas 2,22-40